Für viele junge Schachspieler ist es der Höhepunkt des Schachjahres, das große Ziel am Ende einer ambitionierten Saison. Und dennoch schaffen nur die Wenigsten die Qualifikation für die jährliche Jugendeinzelmeisterschaft (DJEM) in Willingen. Ein Turnier, in dem die Jugendlichen bzw. Kinder betreut und unterstützt werden, wie die Stars der Schachszene. Partien werden z.T. über Stunden detailliert vorbereitet, die Spieler auf ihren jeweiligen Gegner eingestellt, um dann im entscheidenden Moment einen winzigen Vorteil aus der Eröffnung über eine lange Partie ausspielen zu können. Eine Woche Nervenkitzel pur, begleitet von einem bunten Rahmenprogramm mit eigener Tageszeitung, Fußball-Ländermeisterschaft, Blitzturnier, Simultanpartien gegen Großmeister und Vielem mehr. Ein wahres Highlight für jedes schachbegeisterte Kind bzw. jeden schachbegeisterten Jugendlichen, der einmal Glück und Können so vereinen kann, um sich über den langen Qualifikationsweg als einer der wenigen Spieler für dieses Ereignis zu empfehlen.
Der SK Turm hat mit Wilhelm Schimming einen Spieler, dem dieses kleine Kunststück nun das dritte Mal in Folge gelungen ist. 2023 über den begehrten Scoutingplatz im letzten von bundesweit zehn Qualifikationsturnieren, 2024 als Landesmeister Hessens und 2025 als einer von drei hessischen Spielern, die aufgrund ihres Ergebnisses bei den hessischen Einzelmeisterschaften vom hessischen Nominierungsgremium benannt wurden. In diesem Jahr startete Wilhelm erstmals in der Altersklasse U10 und zwar als jüngster Teilnehmer des 58 Spieler umfassenden Teilnehmerfeldes.
Wie in den beiden Vorjahren wollte Wilhelm dabei seine Setzlistenplatzierung erreichen. 2023 erreichte Wilhelm von Setzlistenplatz 34 aus als zweitjüngster Spieler einen beachtlichen 31. Platz. Im Jahr darauf startete Wilhelm von Platz 16 und landete am Ende auf dem hervorragenden Platz 12. Zwei sehr erfolgreiche Turniere mit in Summe 7,5 Punkten aus 14 Partien waren eine gute Basis, auch diesmal von Setzlistenplatz 24 anzugreifen. Nur weil man der Jüngste im Teilnehmerfeld ist, kann man dennoch einer der Erfahreneren Spieler sein.
Aber es kam anders! Willingen ist eben auch ein Turnier bei dem Nervenstärke und Form elementar sind. Hier treffen sich die stärksten Spieler der Republik und Fehler werden konsequent bestraft. Vermeintlich leichte Aufbaugegner gibt es nicht. Wilhelm startete in den ersten vier Runden in jede Partie gut bis sehr gut, hatte die Dynamik des Brettes komplett auf seiner Seite, vergab dann aber eine Gewinnstellung nach der anderen.
Woran kann so etwas liegen? Nun, Schach ist eben auch viel Psychologie und das Umgehen mit z.T. sehr anspruchsvollen Drucksituationen. Nichts ist schwerer, als eine gewonnene Stellung auch tatsächlich zu gewinnen. Wenn man dann – wie es Wilhelm erging – die erste Runde unglücklich verliert und in der Folgepartie “jetzt erst recht” spielt, fängt man sich schnell einen unnötigen Konter. In der Folge entsteht Verunsicherung. Da es der Saisonhöhepunkt ist, möchte man ab jetzt “nur keine Fehler” mehr machen. Allerdings – und so ist es eben oft im Leben – passiert dann genau das, was man eigentlich verhindern wollte. Obwohl man zweimal in Tiefe nachrechnet, übersieht man in all der Aufregung etwas ganz Elementares und steht erneut mit leeren Händen da.
Für Wilhelm – mit seinen noch immer 8 Jahren – ergab sich somit keine einfache Situation, die ihn über die gesamte DJEM 2025 begleitet hat.
Was man Wilhelm allerdings hoch anrechnen muss, ist, dass er nach einem absoluten Fehlstart mit vier Niederlagen in Serie aus den verbleibenden fünf Partien nur noch ein einziges Mal als Verlierer vom Brett ging. Nach einem solchen Fehlstart erneut Tag für Tag gegen die stärksten Spieler des Landes antreten zu “müssen”, kann in einer solchen Situation schnell zur Belastung werden. Gefangen zwischen den eigenen Erwartungen, den Erwartungen des Umfeldes aus Schachspielern, Freunden und Trainern kann sich schnell eine Abwärtsspirale ergeben, die man ohne weiteres nicht verlassen kann.
Wilhelm hat diesem Druck in der zweiten Turnierhälfte jedoch stand gehalten. Er hat, nach dem wohl schlechtesten Turnierstart seiner “Karriere” Charakter gezeigt, sich nicht aufgegeben und Tag für Tag, Runde um Runde erneut angegriffen, obwohl das ursprüngliche Ziel bereits unerreichbar war. Die Partien waren dabei keineswegs makellos, die Verunsicherung erkennbar, die Leichtigkeit spürbar verloren, aber eben dennoch von echtem Kampfgeist geprägt!
Dies zeigt, wie schwer Schach sein kann, wenn man seine Form sucht. Da ist Schach keineswegs anders als andere Sportarten. Skispringern fehlt das Luftpolster, Schwimmer können das Wasser nicht greifen und Schachspieler sehen die Taktik vor lauter Figuren nicht.
In der Rückschau gilt es nun das Positive mitzunehmen und gleichzeitig die Fehler der ersten Runden zu analysieren. Das hat sich Wilhelm vorgenommen und möchte in 2026 erneut angreifen. Ob das gelingen kann, ist zunächst ungewiss. Die Chancen für eine Qualifikation sind zwar besser als in diesem Jahr, da Wilhelm dann der “ältere Jahrgang” der U10 ist, der Weg nach Willingen bleibt aber dennoch eine große sportliche Herausforderung! Der hessische Verband stellt im Jahrgang unter Wilhelm fünf der fünfzehn besten deutschen Spieler, gegen die sich Wilhelm in der Qualifikation wird beweisen müssen.
Willingen 2025 war aber auch für Wilhelm mehr als “nur” Schach. Gemeinsam mit der hessischen Delegation galt es den Skywalk zu erkunden, Werwolf zu spielen und natürlich das Fußballturnier der Bundesländer zu bestreiten. In jedem Team musste dabei stets ein Mädchen und ein U12 Teilnehmer auf dem Feld stehen. Klar war Wilhelm hier dabei und hat sich packende Zweikämpfe gegen U18, U16, U14 usw. Spieler liefern können. Die Erfahrung aus drei Saisons beim JFV Aulatal in Kirchheim zahlte sich hier aus. Für Wilhelm standen am Ende ein Tor und drei Assists auf der Habenseite, welche die Stimmung spürbar aufhellten. Neben der Einzelleistung soll hier aber das Mannschaftsgefühl betont werden. Die hessische Delegation war “EIN TEAM” auf und neben dem Spielfeld. So verwundert es nicht, dass die Hessen auch wirklich jedes Spiel gewinnen konnten. Einem packenden Halbfinale gegen Rheinland Pfalz, das mit 1:0 in der Verlängerung gewonnen werden konnte, schloss sich ein nicht minder packendes Finale an. Nach wenigen Minuten führten die Hessen scheinbar sicher mit 2:0, bevor der erste Gegentreffer des Turniers das Finale zu einer Nervenprobe machte. Am Ende blieb es beim hochverdienten 2:1 und einem unvergesslich emotionalem Abschluss dieses Fußballevents mitten im Schachturnier. Von außen betrachtet eine kleine Anekdote. Für Kinder in diesem überwältigenden Schachzirkus ein wichtiger emotionaler Anker eines WIR-Gefühls. Schach ist ein Einzelsport und Teamerfolge in einem solchen Kontext umso wichtiger.
Das ist es auch, worum es beim SK Turm geht: Schach als “WIR-Erlebnis”!
Wilhelm wird das große Ziel einer vierten DJEM Teilnahme erneut angehen und der SK Turm ihn mit Einsätzen und Praxiserfahrung in der Mannschaft unterstützen.